Mein ganz eigener Weg auf dem Camino del Norte.
Heute, aufgrund der Umstände, sind meine Worte sehr persönlich und gefühlsbetont. Mit nur wenigen Infos und Bildern zum Camino del Norte.
Bereits seit der vorletzten Nacht spiele ich mit dem Gedanken, heute mit dem Zug bis nach Llanes, dem heute noch 25 Kilometer entfernten Etappenende, zu fahren.
Auch wenn ich diesen Weg unbedingt gehen will – er wird schön sein, dass weiß ich – macht meine innere Stimme Freudensprünge ob dieser Idee und ruft ganz laut JA. Mein Kopf diskutiert mit ihr.
Ich lasse mein Herz gewinnen und habe mir bereits gestern Mittag für gleich zwei Nächte ein Apartment in Llanes gebucht.
Mit Waschmaschine! Nach drei Wochen auf dem Weg ist es an der Zeit, dass meine gesamte Wäsche mal wieder richtig, nicht nur per Handwäsche, gewaschen wird.
Mit der Waschmaschine ist auch mein Kopf – fürs Erste – zu überzeugen.
Gedanken und Gefühle des Morgens
Lernen, mit der schmerzhaften Vergangenheit abzuschließen. Alle alten Verletzungen hinter mir lassen, um wie Phoenix aus der Asche aufzusteigen.
Diese Worte ließen heute Morgen meine Tränen fließen.
Ganz, wie es immer wieder heißt: Mindestens einmal auf deinem Weg wirst du weinen.
Tränen sind wichtig. Tränen lösen tiefsitzenden Schmerz.
Und auch wenn ich weiß, dass es Themen gibt, die immer und immer wieder hochkommen, um gesehen, bearbeitet und aufgelöst zu werden, ist es heute doch wieder etwas besonderes. Vielleicht, weil ich noch nicht mal weiß, um welches Thema es sich diesmal handelt. Vielleicht, weil ich dachte, bestimmte Themen längst abgeschlossen zu haben.
In mir ist einfach nur diese Traurigkeit, die beschlossen hat, sich heute – immer mal wieder, ganz spontan und für kurze Zeit – zu zeigen. Und sie ist von ganzem Herzen willkommen.
Mein heutiger Start
0900 – Ich habe gerade ein sehr fantastisches Frühstück genossen. Es war nicht die Vielfalt, die mich beeindruckt hat, es war die Art und Weise. Das Wie. Das, was sich durch die gesamte Unterkunft zieht.
Die Einrichtung ist älter und einfach, dennoch ist ein unglaublicher Stil, gepaart mit einer großen Sauberkeit, vorhanden.
Das Frühstück ist landestypisch einfach: Es gibt, wie immer für mich, Pan con Tomate, Café Americano und einen frisch gepressten Orangensaft. Aber auch hier ist es der Stil: angefangen mit einer weißen Tischdecke bis hin zum Besitzer, welcher mit einer vornehmen Souveränität das Frühstück am Platz servierte.
Hier* will und werde ich erneut übernachten. Wenn ich wiederkomme, um die Strecke bis Llanes zu Fuß zu gehen.
Denn das ist es, was ich will: Wiederkommen. Um diese und auch die anderen Strecken, die ich in Spanien – auf meinem Camino del Norte – nicht zu Fuß zurück gelegt habe, zu Fuß zu bereisen.
1000 – Was bin ich fit! Denke ich, als ich die Unterkunft verlasse. Ich habe Lust, bis zur nächsten Bahnstation, Colombres, zu laufen. 3,7 Kilometer, sagt Google Maps. Die Zeit für diese Strecke ist knapp, aber wenn ich mich beeile, schaffe ich es. Verspricht mein logischer Kopf. Ich laufe los.
Nach 800 Metern – natürlich geht es wieder sehr steil bergauf – sagt mir meine innere Stimme, dass ich die Strecke zeitlich nicht schaffe. Und obwohl mein Kopf weiter laufen will, kehre ich um.
Der Zug fährt nur zweimal am Tag – einmal am Vormittag und einmal am Abend. Und mir ein Taxi zu nehmen, ist eins von den Dingen, die ich auf meinem Weg nicht tun möchte. Ist mir zu einfach.
Rückwärts den Jakobsweg zu laufen, nur um ein öffentliches Verkehrsmittel zu nutzen. Etwas, was ich auch NIE tun wollte, ist jetzt eingetreten. Selbstverständlich meine ich das Rückwärtsgehen und nicht das öffentliche Verkehrsmittel.
Ich komme am Bahnhof in Unquera an und sehe, dass der Zug in zwei Minuten abfährt. 25 Minuten früher, als es online vorher gesagt wurde. Was habe ich für ein Glück, dass ich auf meine innere Stimme gehört habe und nicht auf meinen Kopf, der weiter zum Bahnhof nach Colombres laufen wollte.
Die Zugfahrt ist schön
Der Zugführer gibt ständig akustische Signale mit seinem Triebwagen von sich. Ich sehe davon laufende Herden und pilgernde Menschen, die sich umdrehen. Gut, dass das einspurige Gleis nur viermal täglich befahren wird. Die Bewohner am Gleis wären vielleicht sonst nicht so glücklich.
Die Landschaft ist wie gemalt und ich bin wehmütig, die Strecke nicht gelaufen zu sein. Meine Entscheidung, wieder zu kommen, um zu Fuß zu gehen, wird einmal mehr bestärkt. Auch, um die Traurigkeit ob des „verlorenen“ Fußmarsches nicht überhand nehmen zu lassen.
1110 – Keine 50 Meter vom Bahnhof in Llanes verläuft der Camino und der erste Pilgerer begegnet mir. Auch eine Pilgerin, die mit mir aus dem Zug gestiegen ist, läuft den Weg weiter.
Schon wieder rebelliert mein Kopf und schenkt mir Zweifel, dass richtige getan zu haben: Ich fühle mich doch fit, jetzt gerade, in diesem Augenblick. Muss ich wirklich zwei Nächte in Llanes bleiben? Brauche ich diese Zeit tatsächlich, um mich zu erholen?
Egal! Gebucht ist gebucht. Für irgendwas, was ich jetzt noch nicht sehen kann, wird es gut sein. So überzeuge ich meinen Kopf, damit er endlich Ruhe gibt.
Was mein süßes und wundervolles Frauenhirn immer wieder für Zweifel sät, ist schon beeindruckend. Es sei ihm gegönnt, schließlich war es die vergangenen Jahre für mich da, um zu überleben. Und manchmal vergisst es, dass JETZT die Zeit gekommen ist, um zu leben.
Auch mit Enol, dem Eigentümer der Unterkunft, habe ich bereits Kontakt: Ich kann früher in die Wohnung. Ich freue mich.
1220 – Kaum zu glauben! Ich sitze hier auf einer Bank, schreibe an meinem Blog und die Tränen laufen, während Menschen an mir vorbei laufen. Und es ist mir egal. Es sind Tränen des Glücks, Tränen der Erleichterung, Tränen der Traurigkeit. Einfach nur Tränen, die tief aus meinem Inneren kommen.
Ich lasse sie. Ich umarme sie. Ich umarme mich.
Meine Unterkunft* in Llanes ist toll. Selbst das Waschmittel für die Waschmaschine ist vorhanden. Ich bin absolut begeistert. Für eine Person völlig ausreichend und ich freue mich, die nächsten zwei Nächte hier verbringen zu dürfen.
Auf dem Weg zum Supermarkt – für Wasser, Gemüse, Obst, Olivenöl und Käse – treffe ich Uta. Überraschend kommt sie aus einer Gasse, genau in dem Moment, als ich daran vorbei laufe.
Wie witzig! Immer, wenn ich eine Strecke mit dem Zug fahre, treffe ich entweder auf sie oder Claudia – eine Pilgerin, mit der sie gemeinsam unterwegs ist. Beide sind getrennt gestartet, haben sich aber gleich am Anfang kennen gelernt und gefunden. Sie laufen allein und finden dennoch immer wieder zusammen. Eine perfekte Symbiose. Oder auch: Latsch und Bommel. Ich freue mich für die Beiden.