23 – Naves bis Ribadesella

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23 – Naves bis Ribadesella

Mein ganz eigener Weg auf dem Camino del Norte.

Heute gelaufen: 17,683 Kilometer

Gelaufen seit meinem Start in Hamburg am 11.05.2022: 326,176 Kilometer

0950 – Heute komme ich später los als geplant. Denn beim Frühstück treffe ich, neben einer jungen Deutschen – welche zwischen ihren Interrail-Reisen zwei Wochen Pilgern geschoben hat, auch Annele aus Finnland.

Annele aus Finnland

Annele läuft mit ihrer 21jährigen Tochter für drei Wochen einen Teil des Jakobswegs rückwärts.

Es gibt sie, die Menschen, bei denen du beim ersten Blick, beim ersten Wortwechsel spürst und intuitiv weißt: Da ist eine ganz besondere Verbindung zwischen uns. Annele ist ein solcher Mensch. Ich hätte noch Stunden mit ihr reden können.

Wir sprachen in Englisch und Deutsch. Sie versteht jedes deutsche Wort. Vor vielen Jahren war sie als Austauschschülerin für ein Jahr in Deutschland und ihr wurde gesagt, sie spreche ein akzentfreies Deutsch.

Ich will ihr meine Nummer geben, wenn ich mit dem Rucksack das Hotel verlasse. Um sie in Hamburg wieder zu sehen. Sollte sie mal dort sein. Leider hat auch sie unseren Frühstücksplatz bereits verlassen.

Neues wächst überall dort, wo es zugelassen wird.

Gedanken und Gefühle am Vormittag

Annele ist es auch, die mich heute fragt: Warum gehst du den Weg?

Es ist nicht so, dass ich mir die Frage nie gestellt habe oder andere sie mir gestellt haben. Ein Beitrag darüber liegt seit Anfang Mai in meinen Entwürfen.

Die Antwort an Annele heute war einfach und leicht: Ich weiß es nicht.

Alle möglichen Antwortkonstrukte haben keine Gültigkeit mehr. Gehören nicht mehr zu mir

Erst heute bin ich wirklich bereit für die Antwort. Tränen klopfen an, als ich die Frage heute gestellt bekomme.

1044 – Jetzt finden die Tränen auch ihren Weg zum Ausgang. Alles ist so schön, so friedlich.

Sinn des Lebens

Wenn du weißt, dass du mehr bist, als der Mensch, den du in diesem Leben lebst. Was ist dann dein Job hier als Mensch? Was ist deine Aufgabe?

Das ist der Satz, welcher mir als Antwort auf die Frage am Morgen in den Sinn kam. Und mich heulen ließ. Das ist es, was ich heraus finden soll und will.

Auf dem wohl ursprünglichen Jakobsweg taucht mitten im Nichts eine Käfigkapelle auf.

Die Capillita de la Santina.

Verluste auf dem Weg

Auf dem Weg komme ich bald an einem kleinen Supermarkt vorbei und kaufe dort eine Flasche Wasser, um das gechlorte Leitungswasser, welches ich mir heute Morgen in eine meiner mitgebrachten Nalgene-Flasche füllte, auszutauschen.

Was ist schlimmer als gechlortes Leitungswasser? Gar kein Wasser.

Nalgene-Flasche Nummer eins klappt ausgezeichnet. Als ich das Leitungswasser aus der zweiten Flasche über den Mauerzaun auf die Wiese gieße, fällt mir die Flasche aus der Hand. Sicher vier Meter tief – Entfernungen schätzen gehört nicht zu meinen Stärken. Ein kurzer Rundumblick sagt mir, dass ich auch mit Kletterkünsten nicht an die Flasche komme.

Ich fluche laut. Ein Spanier hört mich. Ich zeige ihm mein Missgeschick. Er läuft mit mir zur Klingel des Hauses. Ich bitte ihn zu reden, sobald sich jemand über die Anlage meldet. Wir klingeln einmal, wir klingeln zweimal. Keiner da. Eine Verkäuferin des Supermarkts kommt dazu. Sie bestätigt seine Vermutung: Niemand da.

Beide bedauern, mir nicht helfen zu können, während ich mich von meiner Flasche verabschiede. Shit happens.

Adiós, geliebte Nalgene-Flasche.
Heute gehen wieder fast alle Wege mitten durchs Grün. Nur manchmal und kurz führt der Weg direkt an oder auf Straßen entlang.

Neue Schuhe müssen her

Die Sohle meiner Schuhe wird dünner und dünner. Inzwischen spüre ich jeden Stein, vor allem am rechten Ballen.

Ich denke, sie machen keine 100 Kilometer mehr.

Bisher bin ich blasenfrei gelaufen. Damit das so bleibt, brauche ich möglichst bald neue Schuhe. Um sie abwechselnd mit den Alten zu tragen und einzulaufen.

Ich hoffe, dass es in Ribadesella, meinem nächsten Stopp, eine Laden gibt, in dem ich Auswahl habe. In Nueva habe ich heute bereits ein Paar probiert. Der Schuh war schön, aber wie Beton an meinem Fuß.

Wer kennt sie nicht, die Menschen, die den gesamten Tag aus dem Fenster schauen.
Beeindruckendes Natur- und Farbenspiel.

Manchmal haben es Männer einfach leichter

Ein Pilger läuft an mir vorbei und fragt mich nach einer Zigarette. Wir unterhalten uns kurz darüber, dass er eigentlich aufgehört hat, es aber der falsche Zeitpunkt war. Jetzt schnorrt er sich durch. Ich erinnere mich an ähnliches zur der Zeit, als ich noch rauchte und aufhören wollte: Wenn ich keine Zigaretten habe, rauche ich auch nicht.

Später auf dem Weg, er läuft vielleicht 50 Meter vor mir, steht er am Rand. Ich denke, dass er jetzt nicht wirklich hier, auf geradem Weg – nur kurz zur Seite gedreht – pinkelt. Doch. Tut er.

Am Anfang bin ich fassunglos. Am Ende denke ich nur noch, wie einfach es doch die Männerwelt in dieser Hinsicht hat.

Mich hat heute ein Traktor überrascht, als ich glücklicherweise bereits beim Wiederanziehen war.

Selbst die Mülltonnen sind mit einem gelben Pfeil, dem Wegweiser für den Camino, bemalt. Dahinter am Weg ist ein Steinrand zu sehen, dessen Einzelteile mit Motiven des Jakobswegs bemalt sind. Ganz im (Miniatur)Stil der Würfel der Erinnerung, welche es in Llanes gibt.
Nahaufnahme. In die Spirale legte ich eine gebrannte Jakobsmuschel, die ich Anfang 2021, kurz nachdem ich beschlossen hatte, diesen Weg zu gehen, von einer Pilgerin kaufte. Sie stellt sie Handarbeit her, kann aber selbst nicht mehr pilgern. Der Sendung legte sie eine kleinere, selbstgefertigte Muschel bei. Mit der Bitte, sie auf dem Weg zu lassen, denn so sei auch sie wieder dabei. Diese Erste liegt bei einer Kapelle, kurz hinter Irun.
Das kleine Dorf Cuerres.

Ribadesella

Direkt neben meiner Unterkunft ist das Café La Playa. Ich trinke ein Cerveza, bevor ich einchecke.

Der Weg war heute kurzweilig und schön. Wenn das so weiter geht, laufe ich bald 30 Kilometer am Tag.

In Ribadesella begegne ich Svenja und wir stellen fest, dass wir beide die Nacht in dieser Stadt verbringen. Wir tauschen Nummern aus und verabreden uns zum gemeinsamen Abendessen. Leider wird aus verschiedenen Gründen am Ende nichts daraus. Dann eben beim nächsten Mal.

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