Eine alleinreisende Nichtwanderin pilgert auf dem Jakobsweg. Hier auf dem Spanischen Küstenweg, dem Camino del Norte.
Es ist wieder nach sieben Uhr, als ich aufwache. Ich schlafe, seit dem ich ein Zimmer für mich habe, erstaunlich entspannt. Und auch traumlos. Ja, ich habe gehört, dass ein Mensch immer träumt. Aber mein Unterbewusstsein scheint zur Zeit nichts zu verarbeiten, was in irgendeiner Weise wichtig für mich ist.
Ich gönne mir das Frühstück im Hotel und gehe kurz vor neun runter. Und ich bleibe zwei Stunden. Meine nächsten beiden Etappen und Tage sind nun geplant.
Da ich eine Strecke – Gijón bis Avilés – nicht gelaufen bin, habe ich mehr Zeit. Unterkünfte wurden storniert und Kilometer neu geplant. Die Strecke, die ich gerade laufe, war ursprünglich für zwei Tage mit je knapp 20 Kilometer angedacht. Kann ich nicht. Schaffe ich nicht. Will ich nicht. Ist mir zu viel. Nun habe ich zwei Tage mehr Zeit. Damit geht’s mir gut. Ich habe Zeit und bin nicht auf der Flucht. Mein Wohlergehen und das Genießen des Weges sind mir wichtiger, als jeden Tag Strecke zu reißen.
Und auch spontane Änderungen einer gerade vorgenommenen Änderung sind noch drin. So erzähle ich noch am Mittag – ich bin heute erst um 12 Uhr gestartet – im Video auf meinem Telegram-Kanal, dass ich einen Weg laufen werde, der länger ist, da ich das Meer sehen will. Als der Abzweig da ist, entscheide ich mich um und gehe doch den kürzen Weg. Den Weg der Aussichtspunkte – Ruta de los Miradores – werde an die Strecke Gijón/Avilés anhängen. So der Plan. Heute ist es mir wichtig, keine 15 Kilometer zu laufen.
Der heutige Weg ist ein schöner Weg. Schon anstrengend, aber nicht so, dass ich nicht mehr kann. Und dass es so viele Wege sind, die abseits von Straße führen, war mir im Vorfeld nicht bewusst. Ich bin glücklich und zufrieden, die Entscheidung für diesen Weg getroffen zu haben.
1410 – Ich laufe einen wunderschönen Waldweg entlang. Neben mir raschelt es ständig im Laub – kleine Eidechsen (oder sind es Geckos?) verschwinden, wenn sie meine Schritte hören. Und Schmetterlinge fliegen einzeln oder paarweise vor meiner Nase. Vögel geben in der Ferne ein Konzert.
Meine Unterkunft in San Juan de Piñera
1555 – Ich erreiche das Gelände des Hotels. Dachte ich gestern noch, dass dieses Hotelgelände weitläufig sei, erlebe ich heute ein Vielfaches. Selbst von der Rezeption zum Gebäude, in dem sich mein Zimmer befindet, ist es ein Stück. Die Rezeptionistin begleitet mich. Das ist einfacher, Erklären wäre zu umständlich.
Sechs Quadratmeter. Mehrfach wird bei der Buchung darauf hingewiesen, dass mein Zimmer diese Größe aufweist. Und ich mache mich aufs Schlimmste gefasst. Einer meiner Vorteile ist, dass ich kein räumliches Vorstellungsvermögen habe. Mit sämtlichen Größenangaben kann ich kaum etwas anfangen.
Umso überraschter bin ich, als ich die Zimmertür öffne. Nicht groß, aber ausreichend. Das Bad hat ein Fenster und selbst meine Pilgerinnenwäsche findet ihren Platz.
Auch ein Frühstück ist in diesem verhältnismäßig günstigen Zimmerpreis inkludiert.
Im dazugehörigen Restaurant gibt’s Kleinigkeiten auch vor 20 Uhr. Mein gegrilltes Gemüse ist für mich keine Kleinigkeit, sondern eine volle und ausgesprochen leckere Mahlzeit.
In Spanien gibt es kaum ein Restaurant, in dem kein Fernseher läuft. Und so bekomme ich heute auch mit, dass die Queen gestorben ist. Gestern schon, verrät mir die Suchmaschine.
2155 – Seit einer halben Stunde bellt ein Hund in der Ferne in Dauerschleife. Ich hoffe, dass auch er irgendwann müde ist.
Mit dem Handtuch versuche ich, eine Mücke zu erwischen. Scheinbar erfolglos, ich sehe nirgends etwas Totes.
Eine Ecke der Zimmerdecke sieht schwarz aus. Ich denke, dass es kein Dreck ist.
Der Hund bellt immer noch.
Bewusstsein
Heute bin ich dankbar, dass ich dieses Leben leben darf. Und Zeit habe, diesen Weg zu gehen. Außerdem bin ich dankbar für die spanischen Pilgerfreunde, die die Wege markieren und auch sonst alles daran setzen, dass es den pilgernden Menschen gut geht.
Für was bist du heute dankbar?
Gelaufene Strecke Camino 1.0: 387,317 Kilometer
Bisher gelaufene Gesamtstrecke auf meinem Camino 2.0 seit meinem Start am 29.08.2022: 155,612 Kilometer
Mein Tag in Zahlen und Bildern
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