Tag 2.17 – Luarca über Villapedre nach Navia

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Tag 2.17 – Luarca über Villapedre nach Navia

Eine alleinreisende Nichtwanderin pilgert auf dem Jakobsweg. Hier auf dem Spanischen Küstenweg, dem Camino del Norte.

0900 – Ich entscheide mich gegen das Frühstück im Hotel – Obst, Brot und Käse sind in meinem Rucksack – und gehe direkt zum Bahnhof von Luarca. Drei Minuten nach Zehn soll der Zug abfahren. Meine Station wird Villapedre sein. Ganz durchfahren zum nächsten Ziel – Navia – will ich nicht. Ich will heute definitiv auch laufen. Doch die 20 Kilometer, wie ich sie mir vorgenommen habe und sie für heute auf dem Plan stehen, schaffe ich nicht zu Fuß.

Am Bahnhof treffe ich einen weiteren Pilgerer. Wir grüßen uns freundlich, ein weiteres Gespräch ergibt sich nicht.

Bis der Zug kommt, ist noch Zeit. Ich erleichterte meinen Rucksack, indem ich frühstücke. So ein paar Teile an Obst haben einiges an Gewicht.

Zwei Männer in gelben Westen erscheinen und fragen, was wir auf diesem Bahnsteig machen. Auf den Zug Richtung Ferrol warten, ist meine Antwort. Diese Seite, sagen sie. Muchas, muchas gracias. Das war meine größte Sorge: auf der falschen Seite zu stehen, wenn der Zug einfährt. Der fährt nämlich nur zweimal am Tag – kurz nach zehn Uhr morgens und kurz nach fünf Uhr am Abend.

Auf dem gegenüberliegenden Bahnsteig setze ich das Gespräch mit Horst fort, welches sich kurz zuvor – über die Bahngleise – ergeben hat. Er ist letztes Jahr im Oktober gestartet, ist den Camino del Norte bereits komplett gelaufen und ist jetzt auf Weltreise. Erste weitere Pläne stehen fest.

Es ist ein sehr interessantes Gespräch mit Horst. Und ich stelle fest, dass es das erste seit 17 Tagen ist, welches tiefer geht als das typische Woher kommst du, wohin gehst du. Vielleicht denke ich das auch nur, weil wir beide einen ähnlichen Hintergrund haben. Und vielleicht auch nur, weil wir beide mehr oder weniger aus Hamburg kommen. Vielleicht aber auch nicht.

Im Zug angekommen, kommuniziere ich weiter in deutscher Sprache. Der Übergang ist so fließend, dass ich erst später bemerke, dass das ja ein spanischer Zug ist und ich mit dem Schaffner rede. 🙂 Er hat acht Jahre in Deutschland gelebt und freut sich jetzt über die Deutschen im Zug. So behält und erweitert er seinen Wortschatz.

In Villapedre bin ich die Einzige, die aussteigt. Den Weg zum Camino finde ich schnell – so viele gibt es ja nicht.

1035 – Ein Arbeiter macht im Auto eine Pause am Bahnhof in Villapedre. Aus seinen Boxen tönt I will survive von Gloria Gaynor.

Ich ahne in diesem Moment noch nicht, wieviel das (psychische) Überleben eine Bedeutung an diesem Tag auf meinem Weg haben wird.

Denn noch geht’s mir gut. Der Weg macht Spaß und ich weiß, er ist nicht zu lang.

Meine Stimmung wird zunehmend schlechter.

Mein Magen grummelt seit gestern Abend.

Die Fliegen kleben an mir, als wäre ich ein Rind oder ein Pferd und nerven mich kollossal.

Über mehrere Kilometer erstreckt sich frische Landluft. Oder wie wir früher, als Dorfkinder, zu sagen pflegten: Genieß die Luft, die Luft ist selten. Der ganze Ort riecht nach Gülle. Und schlimmer. Und noch schlimmer. Und die Fliegen kleben an mir.

Mitten im Nichts taucht eine riesige Stallanlage auf. Riesige Kennel-Boxen stehen am Weg, vorne umzäunt. In einer sehe ich bereits, ganz hinten in der Ecke, ein kleines Kalb.

Weiter hinten auf dem Gelände sind viele Rinder, eng an eng und eingezäunt. Ich laufe weiter. Und sehe wieder viele Rinder – diesmal in einem Stall. Angekettet. Mir kommen die Tränen. Nichts mehr mit der Idylle, wie ich sie noch im Mai erlebt habe.

Ich frage mich zum ersten Mal seit 17 Tagen, ob das jetzt so weiter gehen wird und ob es das ist, was ich sehen will, wenn ich weiter gehe. Nicht zum ersten Mal auf meinem Camino 2.0 sehe ich sowas. Aber noch nie in diesem Ausmaß.

In drei Tagen verlässt die Route das Meer und ich laufe ins Landesinnere weiter. Will ich das wirklich? Will ich nur durchs Land laufen, ohne Meer, und dann auch noch sowas vielleicht immer wieder sehen müssen!?

Heute ist mein 17. Tag und ich überlege erstmals ernsthaft, meinen Camino 2.0 vorzeitig zu beenden.

Jedoch habe ich bereits für die heutige und die folgenden drei Nächte Unterkünfte, die nicht mehr kostenfrei storniert werden können.

Meine Unterkunft in Navia

Hotel Arias

Bereits vor 13 Uhr bin ich am Hotel angekommen. Ein riesiger Komplex mit Unterkünften in verschiedenen Preisklassen.

Die Rezeptionistin gibt mir das Zimmer 204 in der dritten Etage. Und telefoniert mit dem Housekeeping, ob es bereits fertig ist. Ist es.

Dennoch will ich die Schultergurte meines Rucksack in der Sonne trocknen lassen, bevor ich ihn im Zimmer deponiere. Ein Restaurant oder ein Café hat das Hotel nicht. Jedoch ist gleich gegenüber ein Supermarkt. Ein Für-heute-geschafft-Bier und eine Minipizza gehören mir, bevor ich ins Zimmer gehe.

Mein Zimmer ist groß, das Bad ist groß. Und alles ist sauber. Und mückenfrei.

Meine Pilgerinnenwäsche trockne ich auf dem kleinen Balkon vor meinem Fenster. Nichtahnend, dass es später über Navia stark regnen wird.

Frisch geduscht schaue ich nach Flügen, die ab Sonntag zurück nach Hamburg gehen. Und finde nichts, was mich auch nur ansatzweise anspricht. Ein Zeichen?

Als ich später leichtfüßig im Ort unterwegs bin – ich freue mich, dass ich den Weg genießen kann und mir die Füße nicht über die Maßen weh tun – ist die Heimkehr in nur wenigen Tagen schon wieder in den Hintergrund gerückt. Und nachdem ich etwas gegessen habe, ist die baldige Rückkehr noch weniger präsent.

Morgen gibt’s Frühstück im Hotel. Ist im Übernachtungsreis enthalten. Und dann sehen wir weiter. Ich denke, der Camino-Blues hat mich mal wieder erwischt. Volle Lotte.

Übrigens, als ich am Abend bei einem guten Glas Rotwein in der stilvollen Cafeteria Novak – in der Nähe meines Hotels – sitze, sind sie schon wieder da. In Massen. Die Fliegen. Und scheinbar nur bei mir. Inzwischen muss ich lachen.

Mein Tag in Zahlen und Bildern

Gelaufene Strecke Camino 1.0:
387,317 Kilometer
Bisher gelaufene Gesamtstrecke auf meinem Camino 2.0 seit meinem Start am 29.08.2022:
211,854 Kilometer

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