Sonntag, 20. Oktober 2024
Prolog
Im Laufe des heutigen Vormittags stellt sich heraus, dass sich gerade – mal wieder – ein altes Thema zeigt. Ein Thema, mit welchem ich schon soooo oft gearbeitet habe, will heute nochmal angesehen werden.
Grundtenor: Ich werde nicht gesehen.
Ich bin seit längerer Zeit sicher, dass es ein generationsübergreifendes Thema ist. Soll heißen, wenn es sich – durch mich – vollends aufgelöst hat, sind sowohl alle AhnInnen als auch alle Nachkommen frei von dieser psychischen Erschütterung, die noch aus dem Unterbewusstsein wirksam ist (das ist die Definition von Trauma).
Mittagszeit
Ich will raus. Zu Hause drehen sich die Gedanken nur im Kreis. Ich brauche heute Input von außen. Mein Hirn braucht neues Futter. Die ganze innere Arbeit, die ich in den letzten Wochen und Monaten gemacht habe, braucht jetzt ihre Zeit, um sich in mir zu verankern.
Ich beschließe, zum Hamburger Hauptbahnhof zu fahren und mich in den Zug zu setzen, der als nächstes abfährt.
Die Anzeige sagt, Gleis acht, Travemünde Strand. Auf Gleis acht fahren jedoch nur ICE, wie ich auf den dortigen Anzeigen sehen kann. Ich bin genervt. Will aufgeben. Der Bahnhof ist voll und wuselig.
Mir laufen Menschen quer über meinen Weg, überrennen mich fast, übersehen mich. (Anmerkung: Ich bin 181 cm groß – so leicht bin ich nicht zu übersehen.) Auch wenn ich mich am Anfang darüber ärgere, muss ich am Ende grinsen: Sie bedienen genau mein heutiges Thema.
Ich halte inne und lasse alle Gefühle der Verletzungen zu, die sich zeigen wollen. In mir. Noch auf dem Bahnsteig.
Und hätte fast den Zug verpasst. Gleis sechs statt acht. Die letzten 20 Meter laufe ich schneller, die Zugbegleiterin steht schon in Position zum Kelle heben.
Die Anzeige im Wagen zeigt Lübeck. Häh? Ok. Ich beschließe, in Bad Oldesloe auszusteigen und den nächsten Zug zurück zu nehmen. Keine Lust mehr. Auf dem Telefon suche ich, was ich statt Travemünde machen kann. Ich fühle mich getrieben. Und packe das Telefon wieder weg.
Bad Oldesloe
Viele Menschen steigen aus. Ich lasse alle an mir vorbeiziehen. Direkt gegenüber fährt der Zug zurück nach Hamburg. In 35 Minuten. #grmmpfff
Ach, was soll’s, denke ich. Wenn ich schon mal da bin, kann ich ja auch vor die Bahnhofstür gehen und schauen, wie es hier aussieht. Ich entscheide mich für die Richtung Stadtmitte.
Alles hier draußen lädt mich zum Weiterlaufen. Gepflegt, sauber, klar – irgendwie spießig, auf die liebevolle Art.
Nach kurzer Zeit erreiche die Weggabelung Innenstadt und Alter Friedhof. Ich entscheide mich für letzteres und gehe den Hügel hinauf – das Tor ist einfach zu einladend.
Wow. Damit hätte ich nicht gerechnet. Ich bin überwältigt. Von der Geschichte, von den Grabsteinen, von der Anlage.
In der Rotunde arbeite ich mit dem Licht. Und der Liebe. Ich verankere sie tief in der Erde. Was von Menschen verursacht wurde, muss auch von Menschen geheilt werden.
Zur Trave geht es ein zwei Treppen hinunter. Und ich bin schon am Ende des Alten Friedhofs angekommen. In meiner Vorstellung war er größer.
Ich gehe wieder eine Treppe hinauf. Und sehe von hier die Gruft oben, an der ich gerade gestanden habe. Der Weg nach rechts soll mich zu einer Aussichtsplattform führen. Ich bin gespannt.
Im Winter ist der Blick sicher weiter und offener.
Ich komme in die Innenstadt und bin schockverliebt. Wow! Sooo schön habe ich mir Bad Oldesloe nicht vorgestellt.
Ein Kreideeimer steht auf den Pflastersteinen. Und daneben ist das Pflaster bunt. Die Künstlerin, ein kleines Mädchen, sitzt mit ihren Eltern am Tisch und isst Pizza.
Ein leichter Hunger meldet sich. Die Entscheidung fällt pro Weiterlaufen und gegen das idyllisch aussehende Lokal zu meiner Rechten.
Und es wird von Ecke zu Ecke schöner. Die kleinen Gassen, die niedrigen Häuser. Die vielen Pflanzen. Die Trave und ihre starke Strömung. Hach …
Ein älterer Herr kommt mir entgegen und grüßt mit Moin. Ich grüße zurück. Moin.
Als ich merke, dass ich dabei bin, diese kleine pittoreske Innenstadt zu verlassen, drehe ich um.
Am Lokal Elvis bleibe ich stehen. Die haben lecker Eis. Ich blättere in der Karte. Viele große, bunte Bilder. Mich spricht nichts wirklich an – zwischen Eis und Herzhaft will ich mich gerade nicht entscheiden. Ich gehe weiter. Und komme nur fünf Schritte.
Der ältere Herr steht wieder vor mir. Wir kommen kurz ins Gespräch und er fragt mich, ob ich Lust auf ein Eis oder einen Wein habe. Ich muss nicht lange überlegen und sage zu.
Wir kommen nicht wirklich dazu, in die Karte zu sehen – unser Gespräch ist sehr flüssig. Der Kellner kann erst bei seinem dritten Besuch an unserem Tisch die Bestellung aufnehmen.
Normalerweise kappe ich ein Sie relativ schnell. Ja, auch bei Menschen, die älter sind als ich. Doch hier war das Sie so vertraut, dass es sich schon nach kurzer Zeit wie ein Du anfühlte.
Wir waren die letzten Gäste. Er brachte mich noch zum Bahnhof. Wir umarmten uns zum Abschied. Er bedankte sich beim Schicksal, welches mich heute nach Bad Oldesloe fahren ließ. Zustimmend lächelte ich ihn an.
Diese Begegnung war wirklich eine besondere. Erwähnte ich, dass ich mir heute Morgen – noch vor dem Aufstehen – den Austausch mit Seelenverbindungen gewünscht habe? Weil mir der intensive Austausch mit Menschen fehlt, die ähnlich ticken wie ich? Dass mir mein Wunsch so schnell erfüllt wird, damit hätte ich nicht gerechnet.
Danke für diesen Tag.
Danke für diese Begegnung.
Danke für mein Sein können.
Ich bin glücklich, dass ich mich heute nicht von meinen Gedanken, sondern von meiner Intuition, meinem Herzen, meiner Inneren Weisheit leiten ließ.