Eine alleinreisende Nichtwanderin pilgert auf dem Jakobsweg. Hier auf dem Spanischen Küstenweg, dem Camino del Norte.
Ende. Finito. Aus die Maus. Finalizar.
Ich bin eine Meisterin im Pläne verändern.
Und so ist aus meinem ursprünglichen Plan, ein paar Wochen (bis Mitte Oktober) unterwegs zu sein, und bis Santiago de Compostela zu laufen und anschließend vielleicht noch den Portugiesischen Küstenweg rückwärts bis nach Porto zu laufen, ein anderer geworden.
Morgen Nachmittag, am Montag Nachmittag, bin ich wieder zu Hause. Der Nachtbus bringt mich heute Nacht nach Bilbao und der Flieger morgen früh über Stuttgart nach Hamburg.
Selbstverständlich schreit mein Kopf, wenn ich ihn lasse, die ganze Zeit, dass ich das doch nicht machen kann. Soll er doch. Ich bin fein.
Denn eins habe ich mir für diesen Weg, meinen Camino 2.0, vorgenommen: Ich will mein Herz öffnen. Noch mehr, noch weiter als es das eh schon ist.
Das beinhaltet auch, dass ich noch mehr auf mein Herz höre. Auf meine innere Stimme. Egal, was mein Kopf dazu sagt. Den benutze ich dann dazu, umzusetzen, was das Herz will.
Und mein Herz wollte nach Hause.
Mein Herz will nicht ohne Meer weiter laufen.
Mein Herz möchte bei dem Theaterstück meiner Tochter dabei sein, in welchem sie die Hauptrolle spielt und, gemeinsam mit Anderen, die Dramaturgie geschrieben hat. Das Theaterstück, bei dem Premiere und letzte Vorstellung in eine Aufführung fallen.
Warum noch?
Wenn ich nur noch stumpf Strecke laufe, laufe um des Laufens willen – ohne den Weg zu genießen und ohne all die wundervollen Einzelheiten auf- und wahrzunehmen – wenn mein Herz nicht mehr dabei ist und ich all das, was sich in jedem Moment zeigt, nicht mehr lieben kann, dann ist es Zeit für einen Richtungswechsel.
Viele kleine Dinge in den letzten Tagen haben meine Entscheidung, nach Hause zu fahren, reifen lassen.
Doch ich denke, unbewusst – im Großen und Ganzen – stand es bereits viel früher fest: Egal was ich getan oder nicht getan habe, es war nicht möglich, meine Planung auch nur ansatzweise über Ribadeo hinaus zu vervollständigen.
Erst vor wenigen Tagen gelang es mir, die ersten 37 Kilometer aufzuteilen. Kein leichtes Unterfangen, denn viele Alberguen haben geschlossen und andere Unterkunftsmöglichkeiten sind absolut rar.
Und nein, ich bin nicht bereit, 45 Euro für ein Zimmer zu zahlen, welches lediglich ein Gemeinschaftsbad hat.
Nein, ich will nicht mehr als 25 Kilometer am Tag laufen, um halbwegs anständig die Nacht verbringen zu können.
Liegt vielleicht am Alter, aber ich brauche meinen Schlaf. Für die Schönheit und so. #love
Muss etwas immer zu Ende gebracht werden?
Mein Gefühl, meinen Weg zu Ende bringen zu müssen, indem ich in Santiago ankomme, ist weg.
Es hat sich die Weisheit eingestellt, dass es nichts zu beenden gibt.
Eine einmal getroffene Entscheidung kann und darf revidiert werden.
Es ist und bleibt eine Strecke, die man geht. Egal, wie es genannt wird: Camino oder Leben.
Der Weg kann mit dem Leben verglichen werden. Ein ewiges Weiter, ein fortwährendes Voran. Ohne Ende, lediglich mit Etappenzielen.
Nicht als Sprint. Sondern als Marathon.
Ja, da kann die Puste zwischendurch schon mal ausgehen.
Das Allerwichtigste zum Schluss
Ich bin glücklich mit meiner Entscheidung. Sehr glücklich. Und ich hätte mir keinen besseren Tag als den gestrigen, für meinen letzten Fußmarschtag vorstellen können. Er war wirklich wundervoll, beeindruckend und fantastisch.
Meine Wege in Zahlen
Gelaufene Strecke auf meinem Camino 1.0: 387,317 Kilometer
Gelaufene Strecke auf meinem Camino 2.0: 253,814 Kilometer
Gelaufene Strecke auf dem Camino del Norte im Jahr 2022: 640,131 Kilometer (als ich diese Zahl das erste Mal las, hatte ich direkt Pippi in den Augen. Ich, die Nichtwanderin, ist so weit gelaufen. #yeah)